Abbaustopp für Tagebau Turów
Zittau, 22. Mai 2021. Durchatmen in Zittau: Gestern hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) für den nahe gelegenen polnischen Tagebau Turòw per einstweiliger Verfügung einen sofortigen Abbaustopp verhängt. Auslöser ist eine Klage der tschechischen Regierung vom 26. März 2021. "Nach einer umstrittenen Abbaugenehmigung, bei der mittels eines polnischen Gesetzes Europäische Recht umgangen wurde, erwarten Experten mindestens ein neues Umweltverträglichkeitsverfahren als Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Genehmigung des Tagebaus", heißt es in einer Mitteilung der Stadt Zittau.
Tschechen zeigten klare Kante, während Deutschland zögerte
Thema: Kraftwerk und Tagebau Turów
Der Tagebau Turów – angelegt als Tagebau Hirschfelde, ab 1947 unter polnischer Verwaltung zunächst Kopalnia Turoszów (Bergwerk Türchau) – liegt bei Zittau auf der polnischen Seite der Lausitzer Neiße. Er beliefert das ab 1962 errichtete gleichnamige Kraftwerk. Im Jahr 2020 wurde die Betreiberlizenz zunächst für sechs Jahre verlängert, insgesamt sollen Tagebau und Kraftwerk bis 2044 betrieben werden.
Mit der einstweiligen Verfügung hat die Vizepräsidentin des Gerichtshofes Rosario Silva de Lapuerta dem Antrag der Tschechischen Republik bis zur Verkündung des endgültigen Urteils stattgegeben. Sie beruft sich dabei darauf, dass dem ersten Anschein nach nicht ausgeschlossen werden kann, dass die polnischen Rechtsvorschriften gegen die europäische Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung verstoßen. Es musste dringend gehandelt werden, weil hinreichend wahrscheinlich ist, dass die Fortsetzung der Braunkohleförderung in der Grube Turów vor Erlass des endgültigen Urteils negative Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel in der Tschechischen Republik haben wird.
Eine polnische Filtrationsanlage soll erst im Jahr 2023 fertiggestellt werden; in diesem Zusammenhang erinnert die Vizepräsidentin daran, dass Schäden an der Umwelt und an der menschlichen Gesundheit im Prinzip nicht rückwirkend beseitigt werden können. Zudem habe Polen nicht ausreichend nachgewiesen, dass die Einstellung des Braunkohleabbaus in der Grube Turów eine tatsächliche Bedrohung für die Energieversorgung des Landes darstellen würde
Position der Stadt Zittau
Der Zittauer Oberbürgermeister Thomas Zenker kommentiert die Entscheidung des EuGH umgehend: "Ich gratuliere vor allem der tschechischen Regierung. Sie hat sich auf Bitten der Region Liberec erfolgreich für ihre Bürger eingesetzt." Oberbürgermeister Zenker hofft nun, dass die vorläufige Entscheidung des EuGH, die auf der Einschätzung der Argumente für das Hauptverfahren beruht, auch den Freistaat Sachsen und die Bundesregierung zum Handeln bringt: "Man hat mir und auch den Landtagsabgeordneten bislang lieber zu mehr Diplomatie geraten."
Oberbürgermeister Zenker betont, dass es der polnische Bergbau- und Energiekonzern PGE und die polnischen Behörden haben soweit kommen lassen: "Gab es zu Beginn der Beteiligung durch die polnische Seite bei uns noch den Glauben, dass ein ordentliches Genehmigungsverfahren absolviert wird, sind wir da schnell eines Schlechteren belehrt worden." Die Verfahrensfehler und Fehlinformationen haben sich aus Sicht der Stadtverwaltung Zittau gehäuft, Aufforderungen zu mehr Information und der Widerspruch der Stadt im Verfahren wurden ignoriert. Zittau hatte daraufhin per Stadtratsbeschluss bei der Europäischen Kommission Beschwerde eingelegt und den Freistaat Sachsen um Unterstützung gebeten.
Inzwischen hat sich Oberbürgermeister Zenker auch an die Bundesregierung gewandt. Angesichts von Hinweisen des Sächsischen Oberbergamts auf konstruktive "Elemente zum Ausgleich unterschiedlicher Bodenbewegungen" sieht er die Sorgen der Zittauer bestätigt. Neben der Feinstaub- und Lärmbelastung sind für die Zittauer vor allem der Grundwasserverlust, der zu Senkungen des Bodens führen könnte und die unklare Perspektive des Tagebaus Anlass zur Sorge. Für die tschechische Seite stehen bereits nach kurzer Zeit weitaus höhere Grundwasserabsenkungen im Raum als im Gesamtlaufverfahren vom Tagebaubetreiber eingeräumt wurden.
Nach Auffassung von Oberbürgermeister Zenker sei jetzt dringend notwendig, dass zwischen den unterschiedlichen Interessen vermittelt werde – wenn nicht anders möglich, dann per Gerichtsurteil. "Dieses Ziel sollten auch Freistaat und Bundesregierung verfolgen, was bisher nicht erkennbar ist", fordert der Zittauer Oberbürgemeister die Regierungen von Land und Bund auf.
Strukturwandel auch auf polnischer Seite nötig
Auch die Situation für die Einwohner der polnischen Nachbarregion von Zittau sei ernst und die unklare Lage nicht zu verantworten, so Oberbürgermeister Zenker. Als mögliche Perspektive wird für die Region Zgorzelec diskutiert, mit Hilfe des Europäischen Just Transition Funds einen Strukturwandel einzuleiten, der zusammen mit dem in der Lausitz eine erfolgreiche Region schaffen könnte. Allerdings werde dies aktuell von der polnischen Regierung noch verhindert, da dafür die Laufzeit des Kraftwerks und der Braunkohlegrube Turów verkürzt werden müsste. Ein endgültiges Urteil in der Sache soll später erfolgen, der Beschluss über über einstweilige Anordnungen greift dem Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht vor.
Oberbürgermeister Zenker: "In Turòw soll noch mehr als zwei Jahrzehnte enormer Aufwand für den Braunkohleabbau und damit erhebliche Folgen für die gesamte Dreiländerregion in Kauf genommen werden. Zahlreiche Experten zweifeln nicht nur den Sinn sondern auch die Wirtschaftlichkeit an." Dagegen würden in der aktuellen Kampagne des PGE-Konzerns gegen die tschechische Klage weiter Behauptungen veröffentlicht, die am Willen zur Einigung zweifeln lassen.
Kommentar:
Wenn Verhandlungen kein Ergebnis bringen, mit dem alle Seiten leben können, ein Problem aber unbedingt gelöst werden muss, bleibt nur der Weg der Eskalation. Das bedeutet, das Problem so zuzuspitzen, dass eine Lösung zwangsläufig herbeigeführt wird. Diesen Weg hat die tschechische Regierung mit ihrer Klage und dem Antrag auf einstweilige Verfügung im Interesse ihrer Bürger in der Dreiländerregion beschritten und nun einen Etappensieg errungen.
Auch das ist Europa: Gemeinsame Rechtsgrundlagen können durchgesetzt werden – eine gute Botschaft zu Pfingsten,
meint Ihr Thomas Beier
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- Quelle: red | Foto: © BeierMedia.de
- Erstellt am 22.05.2021 - 06:13Uhr | Zuletzt geändert am 27.05.2022 - 21:43Uhr
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