Schwarzer Tag: Erweiterung Tagebau Turów genehmigt

Schwarzer Tag: Erweiterung Tagebau Turów genehmigtZittau | Reichenau (Bogatynia), 30. April 2021. Gestern wurde erst durch die Stadt Reichenau verkündet und dann vom polnischen Umweltministerium bestätigt, dass der Tagebau Turów – abgeleitet von Türchau (Turoszów) – laut offizieller Genehmigung bis zum Jahr 2044 fortgeführt und damit auch erweitert werden darf. Dies sei auch im Sinne der Einwohner des Turówer Zipfels und der wirtschaftlichen Entwicklung der Region, lässt der von der Regierung eingesetzte Bürgermeister Wojciech Dobrołowicz wissen. Auf deutscher Seite stößt das nicht auf Gegenliebe.

Abb. oben: Das polnische Kraftwerk Turów ist eine Landmarke im Neißetal. Auf deutscher Seite wurden an der Neiße zwischen Zittau und Görlitz das Kraftwerk Hirschfelde Ende 1992 und die Kraftwerke am Standort Hagenwerder 1991, 1996 und 1997 abgeschaltet
Archivbild: © Görlitzer Anzeiger
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Stadt Zittau protestiert gegen Vorgehensweise

Stadt Zittau protestiert gegen Vorgehensweise
Auf der rechten Bildseite der Olbersdorfer See, eine ehemalige Braunkohlegrube, die Stadt Zittau und dahinter der Tagebau, der das Kraftwerk Turów mit Rohbraunkohle versorgt
Archivbild: © Zittauer Anzeiger.de

Thema: Kraftwerk und Tagebau Turów

Kraftwerk und Tagebau Turów

Der Tagebau Turów – angelegt als Tagebau Hirschfelde, ab 1947 unter polnischer Verwaltung zunächst Kopalnia Turoszów (Bergwerk Türchau) – liegt bei Zittau auf der polnischen Seite der Lausitzer Neiße. Er beliefert das ab 1962 errichtete gleichnamige Kraftwerk. Im Jahr 2020 wurde die Betreiberlizenz zunächst für sechs Jahre verlängert, insgesamt sollen Tagebau und Kraftwerk bis 2044 betrieben werden.

"Bei allem Verständnis für die wirtschaftlichen Sorgen, die ein notwendiger Strukturwandel auslöst – damit wird unserer Region und der trinationalen Zusammenarbeit ein Bärendienst erwiesen", kommentierte der Zittauer Oberbürgermeister Zenker die Nachricht aus dem benachbarten Reichenau verärgert, denn es gibt eine Vorgeschichte:

Die Stadt Zittau hatte wegen nicht erfüllter Anforderungen und ungeklärter Fragen aus der Umweltverträglichkeitsprüfung zur Genehmigung des Tagebaus Widerspruch eingelegt. "Wir haben darauf keinerlei Reaktion erhalten. Aber nicht nur das, sondern das polnische Umweltministerium hat darüber hinaus mit Hilfe eines polnischen Gesetzes eine vorläufige Verlängerung bis 2026 genehmigt", so Oberbürgermeister Zenker. Daraufhin hatte die Stadt Zittau Beschwerde vor der Europäischen Kommission eingelegt, da nach Meinung ihrer Fachleute hier europäisches Recht nicht eingehalten wurde und schwerwiegende Bergbaufolgen wie zum Beispiel Bodenbewegungen nicht einmal thematisiert waren.

Die tschechische Republik hatte mit ähnlichen Argumenten und vor allem aus der Sorge heraus, dass der gesamte grenznahe Bereich Tschechiens akute Grundwasserprobleme zu erwarten habe, sogar Klage beim Europäischen Gerichtshof angestrengt. Hier ist in den kommenden Wochen über eine so genannte Streithelferschaft der Bundesrepublik zu entscheiden.

Polen strebt Kohleausstieg bis 2049 an

Am gestrigen Abend hatte sich, wie die Zittauer Stadtverwaltung mitteilt, Medienberichten zufolge die polnische Regierung auf einen Kohelausstieg bis 2049 verständigt und gleichzeitig die Erweiterung des Tagebaus Turów mit einer Laufzeit bis 2044 genehmigt. Das Genehmigungsverfahren wurde für den Staatskonzern PGE offenbar nicht zufällig zu diesem Zeitpunkt beendet, denn seit heute ist in Polen ein neues Gesetz in Kraft, wonach entsprechend der EU-Regeln auch Nichtregierungsorganisationen in solch schwerwiegenden Entscheidungen einbezogen werden müssen.

Zenker: Freistaat und Bund müssen tschechische Klage unterstützen

Aktuell tagt in Dresden der Koalitionsauschuss der Regierung des Freistaats, weshalb sich Oberbürgermeister Zenker noch kurz vor dem Bekanntwerden der polnischen Entscheidungen mit der Bitte um Unterstützung der tschechischen Klage nach Dresden gewendet hatte. "Wir werden diese Bitte jetzt auch direkt an die Bundesregierung richten, um sicherzugehen, dass unsere Interessen nicht falsch verstandener Diplomatie geopfert werden", machte der Zittauer Oberbürgermeister unmisssverständlich die Interessen seiner Stadt und Region klar.

Nach wie vor seien grundlegende Fragen aus Zittauer Sicht nicht geklärt und könnten auch durch sächsische Fachbehörden wegen fehlender Daten nicht beantwortet werden. Selbst die Perspektive für die Region sei aufgrund der fehlenden Rekultivierungsplanung gefährdet: "Wir haben hier einen schwerwiegenden Eingriff in die Landschaft und Natur mit enormen Auswirkungen auf das Grundwasser, die Neisse, die Luftqualität und die Bodenstabilität. Mit einem Blick auf die Karte kann man erkennen, dass davon aber vor allem deutsche und tschechische Nachbarn betroffen sind." Wie viel Interesse die polnische Seite am Turówer Zipfel noch habe, wenn dieser ausgekohlt sei und welche Mittel für die Rekultivierung und Sicherung zur Verfügung stünden, seien völlig offene Fragen. Ein Strukturwandel sei so jedenfalls nicht mit EU-Hilfe zu bewältigen, erklärte Oberbürgermeister Zenker und fragt: "Wenn Polen die Europäischen Klimaschutzziele derart untergräbt, warum sollten dann überhaupt europäische Mittel aus dem Just Transition Funds in die Region fließen?"

Steilvorlage für die Bündisgrünen

Wer sich dem Klimaschutz entzieht, ruft Bündnisgrüne und Bürgerbewegungen wie Fridays for Future umso stärker auf den Plan, denn der Klimaschutz hat für die meisten Bundesbürger – bei allem Groll über persönliche Konsequenzen und bei weniger Akzeptanz im Osten – einen hohen Stellenwert.

Entsprechend äußerte sich die Kreisverbandsvorsitzende und Bundestagsdirektkandidation Annett Jagiela: "Ich bedauere diese Entscheidung sehr, weil sie dem Dreiländereck die Chance nimmt, gemeinsam in die Zukunft zu wirtschaften. Ohne einen Kohleausstiegspfad wird die Wojewodschaft Niederschlesien keine finanziellen Mittel aus dem Just Transition Fund der Europäischen Union erhalten." Das erschwere gemeinsame Projekte mit Polen, wenn es um einen klimaneutrale Infrastruktur und Wirtschaft geht: "Ich verstehe die Sorgen im Nachbarland, aber es bringt doch nichts, sich vor der Zukunft zu verstecken und die Zukunft ist klimaneutral und nachhaltig."

Poker mit den Strukturhilfen

In diesem Zusammenhang bezeichnete es Jagiela als "vollkommen inakzeptabel und verantwortungslos, dass die Bundesregierung 1,2 von insgesamt 1,425 Milliarden Euro aus dem Just Transition Fund für Brandenburg und Sachsen mit den Strukturhilfen der Kohlereviere verrechnen will." Hintergrund: Während das Strukturstärkungsgeld nur von den Kommunen abgerufen werden kann, können die Mittel aus dem Just Transition Fund von Unternehmen genutzt werden. Jagiela: "Wir brauchen auch die Veränderungskraft der Unternehmen in den nächsten Jahren. Deshalb sollte hier keinerlei Verrechnung stattfinden."

Auch Jagiela fordert die Bundesregierung auf, die tschechische Klage gegen die Genehmigung des Tagebaus Turów zu unterstützen: "Wir dürfen uns nicht entmutigen und ablenken lassen von der Entscheidung der polnischen Regierung und sollten weiterhin am schnellen Kohleausstieg festhalten, denn Kohle ist bereits heute unwirtschaftlich und schadet der Umwelt, dem Klima und uns Menschen. Der Tagebau Turów gefährdet Menschen und Häuser auch auf deutscher Seite, er verursacht nachweislich Wasser- und Bodenabsenkungen. Es ist nicht zu verantworten, dass dieser Tagebau vertieft und erweitert werden soll. Er muss geschlossen werden. Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, dass sie sich der Klage Tschechiens beim Europäischen Gerichtshof anschließt."

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  • Quelle: red | Fotos: © Görlitzer Anzeiger, © Ziitauer Anzeiger
  • Erstellt am 30.04.2021 - 08:54Uhr | Zuletzt geändert am 11.10.2022 - 20:21Uhr
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