Oberbürgermeister Zenker verlangt Gleichbehandlung der Kulturhauptstadt-Bewerber

Zittau | Dresden, 2. September 2018. Der Zittauer Oberbürgermeister Thomas Zenker hat vorgestern mit einem Schreiben an den sächsischen Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler auf dessen laut Medienberichten am Rande der Chemnitzer Bürgerdialog-Veranstaltung vom 30. August 2018 getätigte Ankündigung reagiert, die Stadt Chemnitz bei ihrer Bewerbung um den Titel "Europäische Kulturhauptstadt 2025" unterstützen zu wollen.
Abbildung oben: Wer die Städte der Oberlausitz entdecken möchte, sollte in Zittau beginnen. So unverfälscht stellt sich wohl keine Stadt des Oberlausitzer Sechststädtebundes dar. Und der Habsburger Charme lauert hinter jeder Ecke...

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Hat sich der sächsiche Landtagspräsident im Eifer des Gefechts etwas zu weit herausgelehnt?

Das an den Präsidenten des Sächsischen Labdtags adressierte Schreiben vom 31. August 2018 liegt dem Zittauer Anzeiger vor. Hier sein Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Dr. Rößler,

leider hatte ich nicht die Gelegenheit der interessanten Veranstaltung der Staatsregierung in Chemnitz beizuwohnen. Ich bin vielfach – teils verwundert, teils empört – auf Ihre gestrige öffentliche Äußerung angesprochen worden, nun solle sich ganz Sachsen hinter die Bewerbung der Stadt Chemnitz zur Kulturhauptstadt Europas 2025 stellen. Sie würden dieses Vorhaben für Chemnitz wegen des "angeschlagenen Image" der Stadt persönlich unterstützen. So berichtet die heutige Ausgabe einer viel gelesenen Tageszeitung und zitiert Sie.

Ich bin im Moment mindestens verwundert und frage mich, ob ich nicht empört sein sollte. Sie sind als formal höchster Vertreter des Freistaats Sachsen meiner Ansicht nach in Situationen, die einen fairen Wettbewerb erfordern, zur Neutralität verpflichtet – in Ihrer Funktion als Landtagspräsident aber natürlich nicht nur da. So gehe ich davon aus, dass Sie dies in einer Ihrer weiteren Funktionen, nämlich der des Präsidenten des Landestourismusverbandes auch so handhaben.

Da der Wettbewerb zum Titel "Europäische Kulturhauptstadt" vor allem auf konzeptionelle nachhaltige Wirkungen abzielt, die zur Bewerberstadt passen und die realistisch umsetzbar sind, erscheint die vorgeschlagene imagebegründete Hilfestellung für die jetzt schon sehr interessant angelaufene Bewerbungskampagne der Stadt Chemnitz nicht als Hilfe sondern als Behinderung.

Zum Glück herrscht in diesem Wettbewerb der Europäischen Union derzeit ein echter kollegialer Austausch aller Bewerber. Erklärtermaßen stehen der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, die sächsische Staatskanzlei, Staatsministerin Dr. Eva-Maria Stange und viele ihrer Landtagskolleginnen und -kollegen für eine neutrale Haltung der sächsischen Landesregierung und mit dieser Unterstützung sorgen die Oberbürgermeisterin und die Oberbürgermeister der drei sächsischen Bewerberstädte und ihre Teams dafür, dass auch in Sachsen eine kollegiale und konstruktive Atmosphäre herrscht – in unseren Augen insgesamt positiv außenwirksam für die kulturelle Vielfalt und Zusammenarbeit im Freistaat Sachsen.

Es würde mich sehr freuen, wenn Sie die möglicherweise falsche Zitierung öffentlich richtigstellten. Sollte die Äußerung von Ihnen im Eifer des Chemnitzer Dialogs tatsächlich so getätigt worden sein, hoffe ich, dass Sie sich mit der Sächsischen Staatsregierung auf eine gemeinsame Lesart verständigen, die dann gegebenenfalls auch durch möglichst viele weitere Mitglieder des Sächsischen Landtags vertreten werden kann.

Vielen Dank!

Mit freundlichen Grüßen


gezeichnet: Thomas Zenker
Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Zittau
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Verteilt wurde der Brief auch an den Ministerpräsidenten, die Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Landtagsabgeordnete mehrerer Parteien, den Landestourismusverband, den Kulturraumsekretär Oberlausitz/Niederschlesien, die Oberbürgermeister von Chemnitz und Dresden sowie des Oberlausitzer Sechsstädtebundes und über den Presseverteiler der Großen Kreisstadt Zittau.


Kommentar:

Eine volle Breitseite nennt man wohl so etwas wie die Reaktion des Zittauer Oberbürgermeisters. Wie anders sollte er auch Gehör finden, zählt das im ostsächsischen Dreiländereck gelegene Zittau doch nicht zu den Städten des sächsischen Goldenen Dreiecks zwischen Chemnitz, Dresden und Leipzig.

Im Raum steht die Frage, was mit dem Kulturhauptstadttitel bezweckt werden soll. Erinnern wir uns: Kulturhauptstadt Europas des Jahres 2010 wurde Essen, das abgelegene Görlitz verlor. Nur ein Schelm würde denken, das weitaus größere Vermarktungspotential der Ruhrmetropole hätte neben den Auswahlkriterien und dem Konzept eine Rolle gespielt. Nun denn, auch Görlitz hat profitiert, zum einen mit dem heute als Förderverein Kulturstadt Görlitz-Zgorzelec e.V. (FVKS) auftretenden engagierten Bürgern und zum anderen – zumindest die Gastronomen – vom Slogan des Unterlegenen "Wenn schon Essen, dann in Görlitz!"

Den Kulturhauptstadttitel der Stadt Chemnitz als Trostpflaster zuzuschustern, das wäre jedoch fatal. Zwar ist die Stadt in Kunst und Kultur überaus engagiert und erfolgreich, an anderen Stellen jedoch klebt die Vergangenheit zäh. Nehmen wir mal die Technische Universität der Stadt. Einen FDJnik, der in den Achtzigerjahren eifrig gegen die "Schwerter zu Pflugscharen"-Bewegung vorging, hat sie zum Professor gemacht. Das Weglassen zweier Pünktchen im Namen hilft – entgegen einer Aufarbeitung – nicht gegen die Erinnerung.

Zufällig habe ich an der damaligen Technischen Hochschule studiert, die als besonders "rote Schule" verschrien war. In meiner Seminargruppe (sowas gab's im Bachelor/Master-Studiengängen ähnlich verschulten System) wurde vier Studenten in Einzelgesprächen die Möglichkeit zum Forschungsstudium inklusive Promotion angeboten, wenn sie nur in die SED eintreten würden – und ich bin noch heute stolz darauf: Wir alle haben es nicht getan. Allerdings sehe ich seitdem bei "DDR-Doktoren" genauer hin. "Es laufen so viele promovierte Hornochsen rum", pflegt eine Kollegin zu sagen.

Wozu diese Ausschweifung? In einer Zeit, in der Sachsen über die (bereits erfolgte) Abkopplung des ländlichen Raums diskutiert, würde es einer abgelegenen, ausgebluteten Stadt wie dem mit einer noch immer kulturell orientierten Bürgerschaft ausgestatteten Zittau verdammt gut tun, eine faire Chance im Wettbewerb um den Titel Kulturhauptstadt Europas zu erhalten,

denkt Ihr Thomas Beier

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  • Quelle: red | Kommentar: Thomas Beier |
  • Erstellt am 02.09.2018 - 01:04Uhr | Zuletzt geändert am 02.09.2018 - 11:30Uhr
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