Nachruf an den Sommer

Madrid | Zittau. Semesterferien sind zum Faulenzen da? Nein, entweder man hat mehrere Hausarbeiten zu verfassen oder reist den alten Freunden hinterher, die seit dem Abitur quer durch alle Lande verstreut wohnen. Studentin Romy Ebert aus Zittau hat sich für eine dritte Variante entschieden: Aktivurlaub in der spanischen Hauptstadt Madrid. Eine Reportage über das Bekannte in der ungewohnten Fremde.

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Tag 1: Eine Metropole aufregend wie jede andere, aber der Teufel steckt im Detail

Ich friere. Über den hohen Häusern der Madrider Innenstadt thronen und drohen tiefschwarze Wolkenberge zwischen Einheitsgrau. Den Rentnern am Bahnhof hatte ich noch schulterzuckend erklärt, es würde mir nichts ausmachen, in Deutschland klatschnass zu werden, schließlich würde ich in die spanische Sonne fliegen. Jetzt ist es in Madrid nicht ein Grad wärmer als in Stuttgart oder Berlin und ich trotte weiter durch den dünnfädigen Nieselregen. Den Kopf zum Himmel gewandt, um keinen verzierten Balkon der dicht gedrängten und hoch aufragenden Häuser der Stadt zu verpassen. Es ist wie in jeder Metropole. Man weiß nie, wo man zuerst hinschauen soll. Und weil man am ersten Tag auch nie genau weiß, wo man sich eigentlich befindet, suchen die Augen auch erst mal aufmerksam alles ab, was ihnen vor die Linse kommt. Selbst wenn fast alle der Sehenswürdigkeiten von Bauzäunen und Kränen begleitet werden.

Ich bin auf dem Weg zum Museo del Prado, der wohl berühmtesten Sehenswürdigkeit Madrids und außerdem der perfekte Zeitvertreib für graues Wetter alla Deutschland. Zwischen den circa tausend ausgestellten Kunstgegenständen wird es mir sicherlich nicht langweilig werden. Insgesamt umfasst der Prado über 7.600 Gemälde, 1.000 Skulpturen und 2.400 Drucke - darunter Werke bedeutender spanischer Maler wie Francisco de Goya oder Diego Velasquez, aber auch bekannte fremdländischer Künstler wie dem Selbstporträt von Albrecht Dürer oder dem Gemälde „Die drei Grazien“ von Peter Paul Rubens.

Als ob ich heute noch nicht genug gelaufen wäre. Ich tigere vor dem Prado auf und ab. Ein Eingang, zwei Eingänge, drei. Ich trete an einen der freien Ticketschalter und bin erstaunt: Alle Studenten der EU unter 25 Jahre dürfen kostenlos in das Kunstmuseum. Keine schlechte Idee, um junge Leute mal wieder in Museen zu locken.

Unzählige Räume strecken sich vor mir durch das Gebäude. Ich schleiche von Bild zu Bild. Eine Frau mit weißgepuderten Haaren auf einem goldenen Stuhl, ein König, ein Mann mit schwarzem Schlapphut vor einer Karte. Die Kreuzigung Jesu. Und noch einmal. Und noch einmal. Eine halbe Stunde brauche ich für Raum Nummer eins. Bei dem Gedanken an die 70 weiteren Räume wird mir ganz schwindelig. Ich beschließe, nicht mehr die Geschichte hinter jedem Bild mit meinen paar Brocken Spanisch zu entschlüsseln und bewege mich schneller. Frau, Kreuzigung, Kreuzigung, Mann, Kreuzigung, Schlacht, Frau, Kreuzigung. Spannender als die Bilder erscheinen mir die Museumsbesucher. Frauen, die mit ihren Kinderwagen so nah hinter meinen Fersen stoppen, so dass ich mich genötigt fühle, weiterzueilen. Männer in Anzügen, die durch die Hallen hetzen und in ihr Mobiltelefon plärren. Nachdem ich drei Stunden umhergeirrt bin, breche ich meine Suche nach spannenden Gemälden ab. Vielleicht bin ich nicht der Kunsttyp.

Draußen ist es noch dunkler geworden und der Regen noch stärker. Ich blicke nicht mehr nach oben, um die Gebäude zu bewundern. Stattdessen hangele ich mich von einem Souvenirladen zum nächsten, quer durch die ganze Innenstadt. Warte brav an den unzähligen Fußübergängen an den Straßen, denn Ampeln scheint es in Madrid nicht zu geben. Und das in Madrid! Eine Metropole, die mit 3,3 Millionen Einwohnern kaum kleiner als Berlin ist. Ein Polizeiwagen düst über den Zebrastreifen. Ein Taxi sofort hinterher. Ich warte. Aber nicht lange. Spätestens beim nächsten Wagen, der nicht geschäftlich unterwegs ist, werde ich über die Straße kommen. Das wird mir schon zu Beginn meiner Stadttour bewusst. Und dafür bin ich dankbar. Schließlich ist es in Madrid auch am klügsten, sich per pedes durch die Sehenswürdigkeiten zu schlagen. Den Palacio Real (ehemalige Residenz der spanischen Könige), die Gran Vía (größte Einkaufsstraße), der Plaza Mayor (der Hauptplatz der Stadt, der von vier Seiten von Arkaden und hohen Gebäuden umrankt ist) - alles einen Katzensprung entfernt. Ich stolpere schließlich einer Menschenmasse hinterher in Richtung der Kathedrale La Almudena. Unglücklicherweise lande ich nicht in dem Gotteshaus mit den knallbunten Glasfenstern und Decken, sondern in einem holzverkleideten Raum. Ich bin tatsächlich den Angestellten in das Verwaltungsgebäude der Sehenswürdigkeiten gefolgt und werde empört wieder nach draußen geschoben. Hoppla.

Mit einem Stadtführer verkrieche ich mich schließlich am Abend in mein Hostel, mitten in der Innenstadt, vierter Stock. Am Klingelschild findet man nicht die Namen der Mieter oder meines Hostels, sondern nur das Stockwerk und die Klingel, die zu einer Wohnung links oder rechts gehört. Verwirrend. Ungewohnt. Genauso wie die grünen, blinkenden Kreuze, die aller fünfzig Meter meine Netzhaut belästigen. Dass Apotheken so auffällig sein müssen, verwundert mich. Und warum die Madrider die unzähligen Cervezerías, also Bierstuben, mit den Bierspezialitäten aus aller Welt, darunter auch der Bremer Becks oder Bayrische Paulaner, brauchen, wird mir auch nicht klar. Aber zumindest weiß ich, wo ich hingehen muss, wenn mich in Madrid das Heimweh plagt. Bei heimischen Bier trifft man vielleicht auch ein paar Staatsgenossen. Oder beim Shoppen in Souvenirläden, inmitten der romantisch beleuchteten Stadtkulisse , abends um 22 Uhr. Denn anders als bei uns ist auch um diese Uhrzeit jedes Geschäft geöffnet. Ob im Stadtzentrum oder in den Bezirken rings herum.

Im Hostel treffe ich auf meine Zimmermitbewohner. Dan aus North Carolina (USA), der sich allein auf eine fünfwöchige Reise quer durch Europa eingelassen hat und der am Abend die Madrider Bars unsicher machen will. Und eine scheue Australierin, die so aussieht, als hätte sie den ganzen Tag in ihrem Bett gelegen und ihr Buch gelesen. Immerhin ist sie schon fast auf Seite 500.

Ich verabschiede mich wieder und begebe mich auf eine weitere Suche. Eine Suche nach einem guten spanischen Restaurant in der Stadt. Nach Paella, Tapas und Tortilla. Aber die lassen auf sich warten. Das Einzige, was ich nach fast einer Stunde Odyssee finde, ist ein bezahlbarer Italiener und enttäuscht aber hungrig widme ich mich meinen Gnocci Arabiatta.

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  • Quelle: /Romy Ebert | Fotos: /Romy Ebert
  • Erstellt am 02.10.2009 - 02:02Uhr | Zuletzt geändert am 02.10.2009 - 02:25Uhr
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