Wohin übermäßiger Konsum elektronischer Medien führt

Wohin übermäßiger Konsum elektronischer Medien führtZittau, 20. Januar 2022. Von Thomas Beier. Längst sind die elektronischen Medien allgegenwärtig, wenn man sie nicht ganz bewusst etwa bei einer Wanderung durchs Zittauer Gebirge ausblendet. Aber das Handy muss schon mit, man könnte ja Hilfe benötigen und auf der Rast kann man ja – wie praktisch – mal checken, was so los ist. Digital detox ist nicht, oder?

Abb.: Fernsehkonsum und Spiele am Bildschirm – über mögliche Langzeitfolgen des häufigen und oft langandauernden Starrens auf einen Bildschirm machen sich die wenigsten Gedanken
Foto: Vidmir Raic, Pixabay License
Anzeige

Wann es an der Zeit ist, den Fernseher abzuschaffen

Wann es an der Zeit ist, den Fernseher abzuschaffen
Klar ist ein gemütlicher Fernsehabend in Ordnung – wenn das Zuschauen nicht zur einzigen Freizeitbeschäftigung wird
Foto: Jan Vašek, Pixabay License

Offen gesagt fasziniert mich immer wieder, welchen Aufwand Menschen treiben, um ihr Leben bis zur totalen Inaktivität – abgesehen vom Gang zum Kühlschrank und ähnlichen Routen durch die Wohnung – herunterzufahren. Investiert wird in immer größere TV-Geräte und Breitbandanschlüsse, um noch mehr Zeit vor der Glotze oder an der Spielekonsole zu verbringen. Eigenes Erleben findet dann – außer am Arbeitsplatz, beim Gang zum Discounter und vielleicht im Verein – kaum noch statt.

Bildschirme sind längst omnipräsent

Zugegeben, das ist ein wenig überspitzt, bringt aber auf den Punkt, worum es geht. Offenbar ist die Sucht nach bewegten Bildern mittlerweile so groß, dass ihre Omnipräsenz regelrecht gefordert wird. In vielen Haushalten läuft der Fernsehen ständig, sobald jemand zu Hause ist. Auf TV Systeme spezialisierte Firmen bringen Fernsehen in jedes Hotelzimmer, in Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen und sogar in die Knastzellen der Justizvollzugsanstalten, wo es "JVA TV" genannt wird.

Warum Zuschauen so beliebt ist

Ob der Begriff "Sucht" wissenschaftlich richtig ist, wenn jemand sehr viel Zeit vor dem Bildschirm verbringt? Meine Theorie ist jedenfalls diese: Jedes Säugetier hat im Hirn ein Aufmerksamkeitszentrum, das beispielsweise dafür sorgt, dass man dorthin schaut, wo sich etwas bewegt oder etwas auffällt. Das hat sich in der Evolution richtig gut bewährt: In freier Wildbahn gerät ein sich nähernder möglicher Angreifer in die Aufmerksamkeit und die Art wird erhalten, weil attraktiven Partnerinnen und Partner ebenfalls ganz automatisch Aufmerksamkeit zuteil wird. Manche Leute heischen regelrecht um Aufmerksamkeit, etwa durch laute Motorräder, getunte Autos, bunte Haare oder schrille Klamotten – und erzählen damit oft genug sehr viel über sich selbst.

Das aus meiner Sicht regelrecht gefährliche am Fernsehen, wenn wir bei diesem aussterbenden Begriff bleiben wollen, besteht darin, dass oft genug allein das Aufmerksamkeitszentrum fasziniert wird und ein Erleben vorgaukelt, während der Rest des Denkvermögens sich längst weitgehendst verabschiedet hat. Das ist beim Krimi wie bei der Talkshow so: Das Gehirn reagiert nur auf die Reize, agiert hingegen – wie es im richtigen Leben geschehen würde – wird hingegen nicht. Das ist freilich für viele ein angenehmer und bequemer Zustand: Nicht überlegen müssen, was man wirklich macht, keine Konsequenzen kennenlernen – das machen ja die Typen hinterm Bildschirm: Die erleben das Dschungelcamp, die fetzen sich in der Talkshow, die müssen im Western den Colt schneller ziehen.

Gibt es massenpsychologische Folgen?

Möglicherweise hat das mittlerweile über Generationen trainierte Fernsehverhalten sogar massenpsychologische Folgen, auch wenn der Begriff Massenpsychologie im engeren Sinne nicht zutrifft. Bei den Folgen jedenfalls geht es nicht einmal um Inhalte von Sendungen oder Streams oder die Unterscheidung zwischen seriösen, ver- und gefälschten Nachrichten – ich denke, wer sich kaum noch an oder in der Realität misst, verliert den Bezug zu realen Zusammenhängen, kann Fakten nicht mehr einordnen und nimmt schließlich nur noch wahr, was in die eigene Wahrnehmungswelt – geprägt von Glotze und Internet – passt.

Schaut man sich die heutige Gesellschaft an, dann fällt schon auf, dass Meinungen mit Argumenten vertreten werden, die kaum relevant sind, die relevanten Tatsachen aber ausgeblendet werden. Typisch sind etwa Argumente der Gegner von Corona-Schutzimpfungen, die darauf verweisen, "einen jungen Körper" oder "ein intaktes Immunsystem" zu haben, dass "auch Geimpfte erkranken" können und "trotz Impfung ansteckend" sind, wenn man sonstige Falschbehauptungen weglässt. Das, worum es eigentlich geht, kommt kaum vor: Neben dem Schutz vor schweren Krankheitsverläufen beim Einzelnen und der Belastung des Gesundheitsystems muss die Zahl der Viren gesenkt werden – und das gelingt nun einmal nur mit Vorsichtsmaßnahmen und Impfungen. Weniger Virenlast bedeutet leichtere Verläufen, weniger Ansteckungen, weniger Mutationen. Wird eine ausreichende Durchimpfung nicht erreicht, wird der Herbst 2022 das öffentliche Leben und die Wirtschaft stärker denn je lahmlegen. Das kann niemand wollen.

Organische Folgen exzessiven Fernsehkonsums

Im Jahr 2020 lag die durchschnittliche Fernsehdauer in Deutschland pro Tag bei mehr als 220 Minuten, ist einem Beitrag von Bernhard Weidenbach vom 6. Januar 2022 auf statista zu entnehmen. Das sind nicht nur mehr als dreieinhalb Stunden körperlicher Inaktivität, denn kaum jemand treibt Sport beim Gucken, sondern auch hoher Beanspruchung für die Augen. Oft wird abends in abgedunkelten Räumen geschaut, und zwar direkt auf den Bildschirm, der übrigens auch am Tage notwendiger Weise meist heller als seine Umgebung ist. Da immer direkt auf den Bildschirm geschaut wird, der zudem auch UV-Licht abstrahlt, ist der Stress für die Makula, dieses linsengroße Stück Netzhaut, mit dem wir am besten sehen, enorm. Es besteht begründeten Verdacht, dass lang andauerndes Schauen auf Bildschirme über Jahre zur degeneration der Makula beitragen kann.

Dass der Bewegungs- und Stützapparat leiden bei zu viel körperlicher Inaktivität, das ist unbenommen – nicht nur die Couchpotatoes lassen grüßen! Übrigens auch jene, die im Alter an Osteoporose leiden, weil vor allem Bewegung dazu führt, dass Kalzium in die Knochen eingelagert wird. Süßigkeiten, Snacks und Alkohol, die für viele zum Fernsehabend gehören, tragen einen weiteren Teil zu schwindender Gesundheit bei.

Was tun?

Ein Leben ohne Bildschirme ist in der modernen Gesellschaft nahezu undenkbar. bedenklich wird es, wenn jemand exzessiv seine Zeit vor Bildschirmen verbringt. Zu befürchten ist, dass viele inzwischen verlernt haben, ihre Lebenszeit zu nutzen, wenn das TV-Gerät ausbleibt. Dich um wie viel reicher ist ein Leben, in dem man sich nicht nur die Erlebnisse anderer zeigen lässt, sondern selbst erlebt!

Natürlich ist der Spaß daran, an nasskalten Winterabenden statt vor dem Fernseher zu sitzen durch die Stadt zu streunen, begrenzt. Dennoch: Beispielsweise Mikroabenteuer, über die ich angesichts des Corona-Blues im Frühjahr 2021 im Zittauer Anzeiger geschrieben habe, ringen neue Erfahrungen und oft genug interessante Bekanntschaften. Oft beginnt es damit, dorthin zu gehen, wo man noch nie gewesen ist, und dabei auf sich allein gestellt zu sein. Oder man ist zu ungewöhnlichen Zeiten unterwegs. In Dresden nachts um halb Drei zufällig zwei quietschvergnügten jungen Damen zu begegnen, die spontan zum gemeinsamen Nudelkochen in die Studentenbude einladen, das erlebt man eben nur, wenn man dem Zufall ein wenig auf die beine hilft. Wer es nicht lacht, kann es nicht erleben – und wird nicht die Erinnerungen haben, von denen man zeitlebens zehrt.

Andere Möglichkeiten, dem Bildschirm wenigstens zu Hause zu entrinnen, sind Hobbys: Lesen, Basteln, künstlerische Arbeiten sind auch unter beengten Verhältnissen möglich. Letzter Tipp: Spätestens, wenn man sich am nächsten Tag nicht erinnern kann, was man am Vorabend gesehen hat, gehört die Glotze im Grunde genommen entsorgt.

Kulturzuschlag:
Nina Hagen: Ich glotz TV!

Kommentare Lesermeinungen (0)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Schreiben Sie Ihre Meinung!

Name:
Email:
Betreff:
Kommentar:
 
Informieren Sie mich über andere Lesermeinungen per E-Mail
 
 
 
Weitere Artikel aus dem Ressort Weitere Artikel
  • Quelle: Thomas Beier | Foto mit Kind: mojzagrebinfo / Vidmir Raic, Pixabay License; Foto Frau: JESHOOTS-com / Jan Vašek, Pixabay License
  • Erstellt am 20.01.2022 - 14:51Uhr | Zuletzt geändert am 20.01.2022 - 16:46Uhr
  • drucken Seite drucken
Anzeige