Persönlichkeitsstörungen öfter als gedacht?

Persönlichkeitsstörungen öfter als gedacht?Zittau, 14. Juli 2020. Der Begriff der Persönlichkeitsstörungen ist nicht mehr nur in der Psychologie gängig, sondern wird in der Bevölkerung immer öfter im Alltag genutzt: "Der ist ja gestört!" Das trifft den Chef, der seine Führungsrolle etwas zu sehr genießt, wie den Nachbarn, der nur wenig Verständnis dafür zeigt, etwas leiser zu sein, oder etwa jenen, der gegen erfolgreiche Maßnahmen zur Verhinderung einer Epidemie demonstriert, die vielleicht ihm selbst oder nahen Verwandten das Leben gerettet haben.

Oft schließen Menschen aus Gesicht und Gestalt des Gegenübers auf sein Wesen – das ist sogar ein Stück weit wissenschaftlich nachvollziehbar. Doch die Frage nach gesund oder nicht lässt sich damit nicht beantworten
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Diagnose, Behandlung und Therapie gehören in die Hände staatlich zugelassener Psychotherapeuten

Ganz egal, wo menschliches Verhalten von anderen als abweichend von sozialen Normen empfunden wird: Tatsächlich können – ohne solche jemandem zu unterstellen – bestimmte Persönlichkeitsstörungen dafür verantwortlich sein. Keinesfalls aber sollten sich nun Hobbypsychologen aufgerufen fühlen, Diagnosen zu stellen.

Es nicht nicht neu, Andersdenkende oder sich unüblich verhaltende Mitbürger als psychisch krank abzustempeln; in der Sowjetunion schickte man Menschen, die den Kommunismus ablehnen, in die Psychiatrie – wer den "wissenschaftlichen Kommunismus" nicht verstehen konnte, musste ja krank sein! Doch auch heute, längst ist der Unrechtsstaat überwunden, sehen sich in der Gesellschaft, so auch in Zittau, Menschen mit dem Vorwurf konfrontiert, doch wohl "gestört" zu sein – ein Vorwurf, den man tunlichst unterlassen sollte, sowohl gegenüber Menschen, die gesund sind, als auch gegen über jenen, die wirklich mit einer Persönlichkeitsstörung zu kämpfen haben. Um vielleicht eine eigene Persönlichkeitsstörung zu erkennen und mit anderen "Sonderlingen" besser umgehen zu können, die dieses Problem haben, ist Hintergrundwissen hilfreich.

Es kommt stets auf den Grad an

Veranlagungen und leichte Tendenzen, die vom persönlichen Umfeld als "nicht ganz normal" gedeutet werden, treten durchaus bei einer Vielzahl von Personen auf. Wenn lang genug gesucht wird, finden sich wohl immer Eigenheiten und Marotten, die allerdings mit einer Persönlichkeitsstörung nichts zu tun haben. Hinzu kommt, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen, also seine psychischen Eigenschaften und Verhaltensmuster, im Verlaufe des Lebens ändern. Besonders auffällig ist das in der Pubertät, wenn der Hormonschwapp das entwicklungsgeschichtlich junge Großhirn, das die Folgen einer Handlung abwägen kann und damit das "Vernünftigsein" verantwortet, praktisch abschaltet und Emotionen und Urtriebe die Oberhand gewinnen.

Allerdings können Auffällligkeiten einer Persönlichkeit weiter gehen – und genau dann wird es kritisch, nämlich wenn die Betroffenen selbst und auch ihr Umfeld unter der Störung leiden. Anders gesagt: Der Grad der einer Störung entscheidend ebenso wie die Akkumulation mehrerer Probleme, wenn es um die Beurteilung durch Mediziner geht.

Die gängigsten Störungen

Persönlichkeitsstörungen betreffen viele Bereiche des Lebens, ob nun im Beruf, in der Politik, in der Freizeit oder in der Familie. Sie treten in den unterschiedlichsten Krankeitsbildern auf.

Unterschieden werden drei große Gruppen – die sogenannten Hauptgruppen A, B und C – an Krankheitsbildern der Persönlichkeitsstörungen (allerdings darf man keine Umkehrschlüsse ziehen, denn nicht jeder, der irgendwie auffällt, ist psychisch krank):

    • Als Sonderlinge oder Exzentriker werden Menschen empfunden, die an einer paranoiden oder schizoiden Persönlichkeitsstörung leiden.

    • Hinterlassen Menschen einen hochemotionalen Eindruck, neigen zum Dramatisieren und sind recht launisch, kann eine histrionische, dissoziale, narzisstische oder eine Borderline-Persönlichkeitsstörung vorliegen.

    • Krankhafte Selbstunsicherheit, zwanghaftes Verhalten und zu stark ausgeprägte vermeintliche Abhängigkeiten werden den Angststörungen zugeordnet.

Psychologisches Wissen in Organisationen

In den vergangenen Jahrzehnten ist immer mehr psychologisches Grundwissen zur Mitarbeiterführung – aber auch für das Marketing – in Unternehmen, Verwaltungen und Krankenhäuser eingezogen. "Auffällig ist, dass insbesondere Krankenhäuser als höchst komplexe Organisationen recht häufig besonders schlecht geführt werden", so der Unternehmensberater Thomas Beier. Hier zeige sich besonders deutlich, dass Fachkompetenz und Führungskompetenz nicht zwangsläufig korrelieren. "Wer stets die besten Fachleute befördert, hat am Ende die schlechtesten Führungskräfte und keine guten Fachleute mehr", bringt es Beier zugespitzt auf den Punkt und sagt: "Gute Manager müssen nicht viel von ihrem Fachgebiet verstehen, dafür aber viel von Menschen und Projektarbeit.Für alles andere haben ja die Fachexperten ihre Daseinsberechtigung."

Anders als unter medizinischen Aspekten gehe es in den Organisationen der Arbeitswelt weniger um das Verhalten des Einzelnen und von Teams als vielmehr um die Motive dafür. "Hier unterscheiden wir zwischen genetisch bedingten Verhaltensmotiven und jenen, die von Erfahrungen oder Lernen geprägt wurden." Soll ein erwünschtes Verhalten bewirkt werden, dann gehe das nur über zwei grundlegende Motivatoren: Entweder gibt es eine Belohnung oder es wird eine Bestrafung angedroht und realisiert, wenn das gewünschte Verhalten nicht gezeigt wird. "Eigentlich aber", und das ist dem Unternehmensberater wichtig, "ist der Mensch von Natur aus motiviert. Viele Organisationen werden aber so schlecht geführt, dass jede Motivation zerstört wird und die Mitarbeiter bestenfalls nur noch Dienst nach Vorschrift machen."

Schlechte Mitarbeiterführung könne über die Jahre hinweg tatsächlich zu medizinisch behandlungsbedürftigen psychischen Problemen führen. Beier: "Starke patriarchalische oder extrem leistungsorientierte Führungskräfte können Mitarbeiter regelrecht kaputtspielen, wie man das umgangssprachlich nennt. Mittlerweile ist die Widerstandfähigkeit von Mitarbeitern und Unternehmen gegenüber vielfältigen und wechselnden Beanspruchungen – Resilienz genannt – zum Beratungsthema geworden.

Wie sich psychische Probleme im Alltag zeigen

Vorab: Zur Beurteilung möglicher psychischer Probleme ist immer der staatlich zugelassene Psychotherapeut oder der Psychiater gefragt. Wem also eventuell krankhafte Persönlichkeitsveränderungen an anderen auffallen, der sollte bestärkt werden, sich medizinischen Rat zu holen. Gleiches gilt natürlich auch, wenn man selbst das Gefühl hat, das eigene Verhalten würde sich ändern: Sich frühzeitig Rat und Hilfe zu holen, kann schwere Verläufe verhindern.

Häufige psychische Probleme:

    • Es gibt Menschen, die besonders launisch sind, aber auf Zurückweisung hochsensibel ragieren, sie können aggressiv gegenüber anderen, aber auch gegenüber sich selbst auftreten. Sie sehen sich als Opfer ihrer eigenen Stimmungen. Als Krankheitsbild kann das auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung hindeuten, unter der um die drei Prozent der Bevölkerung leiden.

    • Deutlich seltener tritt die schizoide Störung auf. Sie kann sich im typischen Einzelgänger äußern, der kaum Emotionen zeigt und auch gar nicht nach Kontakten sucht. Bei starker Ausprägung gibt es weder Interesse an einem Lebenspartner noch an einer Therapie.

    • Die Definition Narzissmus lenkt den Blick auf Menschen, die ein schwaches Selbstwertgefühl hinter einer großartigen Fassade verbergen. Sie geben sich sehr selbstbewusst und wirken anspruchsvoll bis überheblich, können jedoch keine Kritik ertragen. Oft scheitern Narzissten an ihren eigenen Ansprüchen, wohl auch daher gibt es in diesem Bereich eine besonders hohe Suizidrate.

    • Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung fällt häufig zunächst nicht auf, im Gegenteil: Solche Mitarbeiter sind oft geschätzt, gelten sie doch als ordentlich, zuverlässig und überaus korrekt. Konflikte entstehen, wenn sie diese Anforderung an andere übertragen, die vielleicht lieber eher spontan und spielerisch zu Werk ergehen. Zwanghafte Persönlichkeiten zeigen sich extrem übertrieben penibel, können kaum mit anderen zusammenarbeiten und konnen sich selbst bis zur Erschöpfung fertigmachen.

    • Eine dissoziale, auch antisozial genannte Persönlichkeitsstörung kann vorliegen, wenn Menschen generell soziale Normen missachten und Verantwortung vermissen lassen; häufig sind sie leicht reizbar, aggressiv und gewaltbereit. Sie brechen aus Routine aus und flüchten in Aufregung und Abenteuer. Zum Zweck des eigenen Vorteils neigen sie dazu, andere Personen zu missbrauchen oder zu manipulieren.

    • Angst vor Kritik und Entscheidungsunfähigkeit, zugleich die enge Bindung an eine Bezugsperson können – insbesondere nach deren Verlust – in eine abhängige Persönlichkeitsstörung führen.

    • Wenn sehr extrovertierte, dem Leben zugewandte und mitreißende Persönlichkeiten auch immer wieder innere Leere und starke Selbstzweifel plagen, kann das bei Schicksalsschlägen oder anderen Schwierigkeiten in einer depressiven Verstimmung enden; Hintergrund ist die sogenannte histrionische Persönlichkeitsstörung

Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die aufgeführten Beispiele Zustände beschreiben, wie sie wohl jeder im Laufe seines Lebens in der einen oder anderen Form durchmacht. Die Beurteilung, ob es sich um eine medizinisch oder therapeutisch zu behandelnde Erkrankung handelt, muss immer ein staatlich anerkannter Mediziner treffen – und das möglichst frühzeitig.

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  • Quelle: rd | Bildquelle: AdamonvonEden / Adamon von Eden, Pixabay License
  • Erstellt am 14.06.2020 - 09:47Uhr | Zuletzt geändert am 14.06.2020 - 14:32Uhr
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