Gedenken an Václav Havel

Reichenberg (Liberec), 8. Oktober 2021. Von Thomas Beier. Kluge Politiker umgeben sich mit Intellektuellen. Ein Glücksfall kann es sein, wenn ein Intellektueller selbst zum Politiker wird. Das haben die Tschechen, Slowaken und auch die Deutschen erlebt, nachdem der Dramatiker, Essayist und Menschenrechtler Václav Havel als Kandidat des Bürgerforums am 29. Dezember 1989 zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Der überzeugte Europäer ermöglichte große Fortschritte bei der Aussöhnung mit Deutschland und legte die Grundlage für Tschechiens Beitritt zur Europäischen Union.

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Foto von Václav Havel am Reichenberger Rathaus

Allerdings gelang es dem Dichterpräsidenten nicht, die Tschechische und Slowakische Föderative Republik – so der neue Name des Staates, kurz ČSFR – zusammenzuhalten. Havel, Verfechter der Förderation, erlitt deshalb bei den Präsidentenwahlen vom 3. Juli 1992 mangels Zustimmung der slowakischen Abgeordneten eine Niederlage und trat zurück. Doch schon am 26. Januar 1993 wurde Havel mit großer Mehrheit zum Präsidenten der zum Jahresbeginn gegründeten Tschechischen Republik gewählt. 1998 wurde er wiedergewählt und war bis 2003 im Amt. Verfassungsgemäß konnte er nicht noch einmal kandidieren.

Václav Havel, geboren am 5. Oktober 1936 in Prag (Praha) als Spross einer großbürgerlichen Familie und gestorben am 18. Dezember 2011 auf seinem Landsitz in Silberstein (Hrádeček), Ortschaft Wildschütz (Vlčice), im Bezirk Trautenau (Okres Trutnov) war durch und durch Europäer und einer der bedeutendsten Verfechter der tschechisch-deutschen Versöhnung. Er verurteilte er bereits 1990 die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach dem zweiten Weltkrieg.

Zum Gedenken an Václav Havels 85. Geburts- und zehnten Todestag ist vom 5. Oktober bis zum 18. Dezember 2021 am historischen Reichenberger Rathaus ein großformatiges Foto des von vielen verehrten Dichters und Politikers zu sehen.

Willy Brandt und die Schriftsteller

Zu den herausragenden Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte gehört zweifelsohne der frühere SPD-Bundeskanzler Willy Brandt. Brandt hatte, wie auf der Webseite der Gerda Henkel Stiftung zu erfahren ist, im Jahr 1961 dreißig Schriftsteller eingeladen, um sie für den SPD-Bundestagswahlkampf zu gewinnen. Günter Grass fehlte, aber es entspann sich ein bemerkenswerter Briefwechsel zwischen beiden, der 2013 vom Steidl Verlag, Göttingen, veröffentlicht wurde. Als die SPD im November 1972 die Bundestagswahl mit fast 46 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, lobte Brandt den Beitrag von Grass als Unterstützer der SPD.

Und heute?

Zur heutigen, gleich durch mehrere Risse gespaltenen Gesellschaft der Bundesrepublik, haben auf sich selbst und ihre Parteilinien fixierte Politiker, oftmals fern jedes intellektuellen Gedankenguts, wesentlich beigetragen. Damit einher geht die Ablehnung von Wissen und Wissenschaft in breiten Kreisen der Bevölkerung bis hin zur sogenannten gesellschaftlichen Mitte. Wo sind die Schriftsteller und Filmemacher, die sich den großen Fragen um die Coronapandemie, den Zustrom von Flüchtlingen oder etwa die Umweltbelastung und die resultierenden gesellschaftlichen Umbrüche widmen, sichtbar? Es wäre schon etwas gekonnt, wenn wenigstens die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender etwas weniger eine Welt voller Kriminalität und Gewalt – wie in ihren Krimiserien – vorgaukeln und dafür in Spielfilmproduktionen die Fragen der Gegenwart künstlerisch aufgreifen würden.

Quellen und mehr:

Update 9. Oktober 2021:
Leider hat der Fotograf seine Zustimmung zur Veröffentlichung seiner Fotos, die das Reichenberger Rathaus mit dem Havel-Portrait zeigen, zurückgezogen.

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  • Quelle: red
  • Erstellt am 08.10.2021 - 09:11Uhr | Zuletzt geändert am 09.10.2021 - 12:20Uhr
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